Die Umstellung vom DTP-Programm zum Redaktionssystem (auch: CMS) ist ein großer Schritt. Nicht nur technisch, sondern auch für die Menschen, die mit dem neuen Programm arbeiten sollen. Manchen fällt es schwer, sich auf die neuen Bedingungen einzustellen. Aber nur im Team kommt man ans Ziel.

Individualisten im Redaktionssystem

Für die Erstellung von Informationsdokumenten wie Handbüchern und sonstigen Anleitungen werden häufig DTP-Programme eingesetzt. Und geben wir es ruhig zu — Desktop-Publishing hat schon seinen Reiz: Grafiken frei platzieren, Textflüsse manuell anpassen, Tabellen individuell einrichten, Inhalte mit Formen und Symbolen gestalten zu können – diese und ähnliche Funktionen schätzen wir an den bekannten DTP-Anwendungen.

Die Nutzung dieser Programme geht oft einher mit einer dateibasierten Arbeitsweise. Beides zusammen unterstützt einen gewissen Individualismus. Denn wer z. B. seinen eigenen Produktbereich betreut und seine eigenen Dokumente dafür erstellt, kann nach seinen eigenen Regeln arbeiten, seine eigenen Ablagestrukturen verwalten, die Dinge in seiner eigenen Sprache benennen und insgesamt auf vielfältige Weise kreativ sein. Das klingt eigentlich gut, oder?

Diese Arbeitsweise hat jedoch auch ihre Nachteile: Sie erzeugt in der Regel unzählige Redundanzen, ist meist geprägt von dem ständigen Wiederholen der gleichen Tätigkeiten und erfordert mit zunehmender Vielfalt immer zwingender geeignete Methoden, um den wachsenden Bestand zu beherrschen.

Veränderungen sind unvermeidlich

Mit der Einführung eines CMS sind für gewöhnlich Ziele verbunden. Das Unternehmen verspricht sich z. B. zukünftige Einsparungen im Bereich der Übersetzungen, mehr Einheitlichkeit durch Wiederverwendung und Standardisierung oder andere qualitative Verbesserungen. Diese sollen u. a. durch die Vermeidung überflüssiger Redundanzen, die Herstellung sprachlicher Konsistenz und die Automatisierung von Arbeitsschritten erreicht werden.

Das stellt hohe Anforderungen an diejenigen, die das System mit Inhalten füllen und geht nicht, ohne dass sich der Redakteur von manch liebgewonnener Arbeitsweise verabschiedet. Denn fortan beherrschen Regeln, Strukturen und Automatismen einen Großteil der täglichen Arbeit: Es beginnt bei der Erfassung der Inhalte im Editor und endet bei dem Knopfdruck, der die fertige Publikation ins Web katapultiert.

Neue Anforderungen an den Einzelnen

Von den vielen Veränderungen, die bei der Umstellung von DTP auf CMS auf die Beteiligten zukommen, macht das Erlernen der CMS-Funktionen nur einen Teil aus. Viele Menschen sehen die größere Herausforderung in der neuen oder geänderten Kooperation mit den Teamkollegen:

  • Es muss ein Verständnis für modularisiertes Arbeiten aufgebaut werden.
  • Es müssen Regeln für die Arbeit im System aufgestellt werden. Diese Regeln müssen befolgt werden, auch wenn sie von anderen erstellt wurden.
  • Es muss ein Verständnis für Rollen und Rechte aufgebaut werden.
  • Es müssen ggf. neue Teams gebildet werden, oft auch über verschiedene Standorte hinweg.
  • Es müssen ggf. neue Verantwortlichkeiten festgelegt werden.
  • Es muss akzeptiert werden, dass zukünftig andere Prioritäten gelten: Individuelle Ausprägungen von Layout und Finishing, Sprache und Terminologie müssen zugunsten anderer Vorteile hinter der Standardisierung zurücktreten.

Hinzu kommt, dass der Einzelne und seine Arbeit, die Ergebnisse dieser Arbeit und ihre Weiterverarbeitung durch andere oft zu separaten Schritten übergeordneter Workflows werden, gesteuert über das System. Es wird insgesamt transparenter, was der Einzelne tut, wann er es tut und wie er es tut.

Schwieriger Abschied vom Gewohnten

Die überwiegende Mehrzahl von Menschen, denen wir in unseren Beratungsprojekten begegnen, haben mit dieser Umstellung kein oder zumindest kein großes Problem. Aber es gibt eben Ausnahmen. Nicht jeder Kollege kann (oder will) so schnell umschalten. Während sich die einen vom Aufbruch ins CMS-Zeitalter begeistern lassen und mit Feuereifer an die Arbeit begeben, fällt es anderen schwer, ihre gewohnten Abläufe und praktizierten Verfahrensweisen aufzugeben. Sei es, weil sie Teamarbeit generell nicht gewohnt sind, oder weil sie Ihre Eigenständigkeit bedroht sehen. Sei es, dass sie grundsätzlich die Sinnhaftigkeit des gesamten Projektes in Frage stellen, oder weil die neue Situation bei ihnen Ängste auslöst und ein Gefühl der Überforderung hervorruft.

Kreativ und individuell im CMS

Was auch immer der Grund sein mag, manche Einzelkämpfer versuchen, ihren Individualismus auch mit dem System weiter zu pflegen. Und man wundert sich, wieviel Spielraum für Kreativität im CMS bleibt, wenn man ihn nur sucht. Ein paar Beispiele:

  • Anstatt Module wieder zu verwenden, die von anderen erstellt und freigegeben wurden, kann man ein neues Modul mit ähnlichen, aber eigenen Inhalten erzeugen.
    • Dadurch erhöhen sich mit der Zeit die Redundanzen, wie ehemals bei der DTP-Arbeit.
    • Oder man setzt Teile des Datenbestandes durch unnötige Aufversionierung in einen veralteten Zustand.
  • Anstatt sich aus der festgelegten Terminologie zu bedienen und sich an die definierten Sprachregeln zu halten, kann man seinen Texten weiterhin einen individuellen Stempel aufprägen.
    • Dadurch erzeugt man mit der Zeit sprachliche Inkonsistenz und erhöht den Anteil vermeidbarer Übersetzungskosten.
  • Anstatt auf vorhandenen Strukturen aufzubauen, kann man seine eigenen Strukturen entwickeln und benutzen.
    • Dadurch erzeugt man mit der Zeit eine immer größere Anzahl struktureller Varianten.
  • Anstatt die verfügbaren Elemente der DTD in der vorgesehenen Weise zu verwenden, kann man (je nach Art der DTD) versuchen, Formatierungen zu realisieren oder bestimmte Layoutergebnisse zu bewirken.
    • Dadurch vergeudet man in der Regel seine Zeit: Entweder hat man ungültiges XML erzeugt und kann seine Arbeit nicht speichern oder spätestens beim Publikationsprozess werden die mühsam erzeugten manuellen Anpassungen durch die vorgegebenen Layoutinformationen überschrieben.

Rückkehr nicht vorgesehen

Eines ist sicher: Wenn das System erst einmal angeschafft und eingeführt ist, wird es das Werkzeug für die nächsten Jahre sein. Ein Zurück zu den früheren Programmen und Arbeitsweisen gibt es nur in den seltensten Fällen. Diejenigen, die sich gern auf Neues einlassen, haben es leichter. Sie werden sich schneller mit dem System und seinen Funktionen vertraut machen können und schneller Wege finden, das CMS zu ihrem Nutzen einzusetzen.

Oben genannte und ähnliche Arbeitsweisen sind vielleicht möglich, aber – im Hinblick auf den Gesamterfolg – weder erwünscht noch zielführend. Die Vorteile, die der Einsatz eines CMS mit sich bringt, können nur dann ausgeschöpft werden, wenn alle in die gleiche Richtung arbeiten. Es muss ein Datenbestand erzeugt werden, aus dem sich die unterschiedlichsten Informationsprodukte flexibel für die verschiedenen Zielgruppen, Ausgabekanäle und Medien erzeugen lassen.

Nur gemeinsam beherrscht man das System

Wichtige Grundvoraussetzung dafür ist eine funktionierende Teamarbeit. Auch ausgeprägte Individualisten sollten sich mit dem Gedanken anfreunden, dass sie von nun an Teil eines größeren Ganzen sind. Mit seiner Arbeit nimmt der Einzelne nicht nur Einfluss auf die der Teamkollegen, sondern auf die Projektziele allgemein: Standardisierungsversuche laufen ins Leere, wenn nicht alle Bereiche einbezogen werden. Wiederverwendung kann nicht praktiziert werden, wenn Module nicht wieder verwendbar sind. Sprachliche Konsistenz wird nicht erreicht, wenn Sprach- und Terminologieregeln nicht eingehalten werden.

Wie Individualisten zu motivierten Teamplayern werden – Wie der Gleichschritt gelingt

Im Grund ist es ja ganz einfach: Wenn sich alle als Team verstehen, wenn sich jeder mit dem Projekt identifiziert, wenn jeder Einzelne bereit ist, ein Stück Individualität aufzugeben und nach den neuen Regeln zu arbeiten, dann ist eine große Hürde genommen. Doch wie erreicht man diesen Zustand?

Hier sind vor allem zwei Seiten gefordert: Die Teamleitung und die Individualisten selbst.

Die Teamleitung sollte u. a. die folgenden Regeln beherzigen:

  • Die Kollegen nicht vor vollendete Tatsachen stellen, sondern ehrlich und transparent über die geplanten Veränderungen informieren.
  • Allen Kollegen mit Offenheit begegnen und sie zu ebensolcher Offenheit aufrufen (z. B. beim Ansprechen von Problemen).
  • Die Vorteile der Arbeit mit dem CMS hervorheben und die vielen neuen Möglichkeiten, die es bietet – Die Kollegen begeistern, anspornen, mitreißen.
  • Die Persönlichkeit der Individualisten wertschätzen und ihre Bedürfnisse erkennen: Diesen Kollegen z. B. Aufgaben zuteilen, die ihren Fähigkeiten entsprechen, denen sie gut gewachsen sind und in denen sie sich bewähren können. Möglicherweise gibt es Aufgaben, die ihrem Individualismus entgegenkommen und zugleich das Gesamtergebnis bereichern.
  • Und immer wieder: Kommunizieren, nachfragen, informieren.

Auch die Individualisten können manches tun. Einige Beispiele:

  • Der neue im Team kann sich zuverlässig zeigen und dadurch das Vertrauen der anderen Kollegen erwerben.
  • Er sollte lernen, mit Kritik positiv umzugehen und darin auch eine Möglichkeit zur persönlichen Weiterentwicklung zu sehen.
  • Individualisten sollten allen Kollegen mit Respekt und Rücksichtnahme begegnen. Das ist der sicherste Weg, dasselbe von den Kollegen zu erfahren.
  • Wer lernt, auf das Neue neugierig zu sein, dem wird es auch leichter fallen, über seinen Schatten zu springen und andere um Hilfe zu bitten. Das wiederum signalisiert den Kollegen, dass sie gschätzt werden.
  • Individualisten sollten zwar selbstbewusst ihre eigene Meinung vertreten, aber auch kompromissbereit auf die Meinungen der anderen reagieren.

Damit im Rückblick später alle sagen können: Das haben wir gemeinsam geschafft!