Ich habe neulich eine Zeitreise gemacht. Durch einen Zufall bekam ich eine Anleitung in die Hände, die ich vor rund 20 Jahren erstellt hatte, und zwar für ein Cobi (https://de.wikipedia.org/wiki/ConferenceBike).

Die Recherche und Entstehung der Anleitung ist mir noch in guter Erinnerung. Es war damals das erste und einzige Produkt des Unternehmens und niemand dort hatte Erfahrungen mit der Erstellung von Anleitungen. Ich musste daher alle erforderlichen Inhalte, die Struktur der Anleitung, aber auch die Prozesse bei der Erstellung, z. B. Zielgruppenanalyse, Korrekturlauf und Übersetzung erklären und begründen. Das war zu einer Zeit, in der die Norm DIN EN 62079, Vorläufer der heute gültigen Norm DIN EN IEC/IEEE 82079-1, erst seit Kurzem gültig war. Dieses Wissen war außerhalb der technischen Dokumentation noch nicht sehr verbreitet.

Bei der Erstellung durfte/musste ich fast alles selbst entscheiden. Bei Layout, Farben, Terminologie, Formulierungsstil, aber auch Illustrationen und Fotos vertraute man meinen Empfehlungen. Sogar die philosophischen Betrachtungen der Entwickler über ihr Produkt fanden kurz Eingang in die Anleitung. Die Erstellung ging auch noch völlig unbelastet von Fragen der Wiederverwendbarkeit mit MS Word von der Hand, was sich vielleicht auch in dem ein oder anderen Smiley in der Anleitung zeigt.

Heute habe ich weit mehr Vorgaben zu Strukturen, Terminologie, Abbildungen, Layout usw. Oft erleichtern diese Vorgaben meine Arbeit. Zum Beispiel muss ich nicht mehr in mühsamer Kleinarbeit auf Fahrrad-Fotos den störenden Hintergrund aus lauter anderen Fahrrädern entfernen, weil ich stattdessen ein 3-D-Modell bekommen kann. Ich muss keine Fachterminologie recherchieren, das hat bereits ein Profi für mich erledigt und sie zusammen mit anderen Formulierungsvorgaben im Redaktionsleitfaden oder in einem speziellen Sprachprüftool gut dokumentiert. Oft muss ich gar nichts mehr schreiben, sondern nur das bereits Geschriebene und Übersetzte im System finden und neu klassifizieren. Beim Layout darf ich mich darauf verlassen, dass alles automatisch perfekt aussehen wird, und mich auf XML-Strukturen konzentrieren, sodass alles wie aus einem Guss wirkt.

Ich denke, ich werde die 45 Seiten vom Anfang des Jahrtausends aufheben und gelegentlich hineinsehen und mich erinnern. Die alte und die neue Herangehensweise an die Erstellung von Anleitungen haben nämlich das gleiche Ziel: Das Optimum an Verständlichkeit und Nutzen für die Benutzer.