Jan blickte aus seinem Redaktionsfenster in Bremerhaven, wo die Wellen der Nordsee mit Macht an das neue Sperrwerk schlugen. Er hatte sich in das Redaktionssystem eingeloggt, das gerade einen Request for Documentation (RFD) vom Metadaten-Management-System erhalten hatte. Jan bestätigte die Anfrage mit einer Geste. Ein Avatar erschien auf dem Bildschirm und fragte:

„Hallo Jan, was kann ich für dich tun?“

„Kira, bitte kompiliere ein neues Doku-Projekt. Nenne es ‚ULCS Sail H2‘. Fordere alle Unterlagen dazu in der Konstruktion und der Automatisierung an und verwende die neuen Metadaten aus dem RFD, den ich gerade bestätigt habe. Verwende dazu meinen Zugang.“

Kira tastete unbemerkt Jans Iris ab und authentifizierte damit ihren Zugriff auf die benötigten Unterlagen. Auf dem Bildschirm entstand ein Strukturnetz mit etlichen leeren Knotenpunkten. Nach und nach füllten sich diese und der Avatar meinte:

„Ich erkenne ein Ultra-Large-Containerschiff konventioneller Bauart mit Segeln und Elektroantrieb. Moment … ich finde keine Zulieferer-Doku zum Wasserstofftank und der Brennstoffzelle.“

„Der Zulieferer ist die Nihon DaiCo in Japan. Wir bekommen diese Informationen direkt aus deren CDP.“

„Standardstruktur nach den geltenden Normen und Richtlinien?“

Jan bejahte.

„Vertriebsgebiet weltweit?“

Jan bejahte erneut.

„Welche Sprachen?“

„Alle 39 Sprachen der EU, 98 Übersetzungen für die Westafrikanische Union und 8 für das Neue Osmanische Reich. Fernost und die beiden Amerikas müssen wir nicht beliefern.“

„Brauchen wir noch Publikationen in veralteten Standards wie z. B. iiRDS oder irgendwelche Unterlagen auf Papier?“

„Nein, wir liefern nur nach Industrie-5.0-Standard. Papier ist viel zu teuer.“ Außerdem gibt es keine Druckereien mehr, dachte er, geschweige denn Papier.

„Okay Jan, ich bin fertig. Achtzehn Millionen Knoten wurden wiederverwendet. 1802 neue Knoten wurden generiert und übersetzt. Ich habe 92 Exabit neues Wissen zur Integration von Brennstoffzellen in Container-Segelschiffe gelernt.“

Jan beobachtete den Workflow-Assistenten, der das Projekt zur Prüfung an die DQ sendete, die Augmented Reality mit den 3-D-Modellen abglich und die Struktur- und Sprachprüf-KIs noch mal drüberschauen ließ. Wie erwartet war alles fehlerfrei. Wie immer öffnete Jan zum Spaß einen Datenknoten, um den KI-generierten XML5-Code im Original anzusehen. Dann sendete der Workflow-Assistent das geprüfte Projekt auch schon an die Konstruktion. Schon wenige Sekunden später erteilte die Advanced-CAD-KI die Freigabe und der Workflow-Assistent kompilierte das Paket und lud es auf das Content-Delivery-Portal des Schiffes hoch, das gerade in einer Werft in Ghana von Robotern zusammengeschweißt wurde. Es war eine der letzten menschenlesbaren Anleitungen, die produziert wurden. Zukünftige Schiffsgenerationen würden sich selbst autonom betreiben, instandhalten und reparieren und daher unbemannt sein. Verständlich aufbereitete Anleitungen für Bedienpersonal würden dann nicht mehr benötigt.

Jans Blick ging wieder zur Nordsee hinüber. Es war selten geworden, dass er ins Büro musste. Es funktionierte ohnehin fast alles automatisch. Aber nun war das Ende der von Menschen bedienten Technik in Sicht und er wurde sentimental. Ihm würden diese Ausflüge in die Welt der Technischen Dokumentation fehlen.