Die Risikobeurteilung, oft fälschlich auch als Risikoanalyse bezeichnet, gehört zu den wichtigsten Dokumenten für Hersteller, um den Nachweis zu erbringen, dass ein Produkt im Sinne der europäischen Gesetze sicher ist. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass sie in vielen Unternehmen entweder gar nicht oder nur sehr rudimentär umgesetzt wird.
Typische Fehlannahmen in Unternehmen
Häufig herrscht noch die Annahme, Risikobeurteilungen seien ausschließlich für Maschinenbauer relevant – schließlich sei das schon immer so gewesen. Andere Branchen sehen sich nicht betroffen. Ein weiteres oft gehörtes Argument lautet: Es fehlen Zeit und Ressourcen. Die Konstruktion soll Produkte entwickeln, nicht Dokumentationen erstellen. Hinzu kommt die Überzeugung, das eigene Produkt sei ohnehin sicher – weshalb also der Aufwand für eine Risikobeurteilung, die das Produkt schließlich nicht besser mache?
Gesetzliche Anforderungen gelten für alle Produkte
Solche Annahmen verkennen die gesetzlichen Vorgaben. Sie führen im Ergebnis zu einem nichtkonformen Produkt im Sinne der EU-Richtlinien und -Verordnungen – und das betrifft alle Produktarten, nicht nur Maschinen.
Folgen einer fehlenden oder mangelhaften Risikobeurteilung
Darüber hinaus hat eine fehlende oder mangelhafte Risikobeurteilung weitere Folgen. Nahezu jedes Produkt erfordert Benutzerinformationen, die rechtlichen und normativen Vorgaben entsprechen müssen. Ohne eine Risikobeurteilung ist dies jedoch nicht möglich, da deren Inhalte eine wesentliche Grundlage für die Benutzerinformationen bilden. In der Folge sind auch diese fehlerhaft – und damit ein weiterer Gesetzesverstoß vorprogrammiert.
Zwei zentrale Ziele einer guten Risikobeurteilung
Mit einer gut durchgeführten Risikobeurteilung erreicht man daher gleich zwei Ziele:
- Den Nachweis, dass das Produkt sicher ist – vorausgesetzt, die Vorgaben aus der Risikobeurteilung werden auch umgesetzt.
- Benutzerinformationen, die diesen Namen verdienen, da sie alle sicherheitsrelevanten Inhalte enthalten.
Welche Informationen für die Technische Redaktion relevant sind
Doch welche Informationen sind gemeint? Häufig werden die sogenannten Restgefahren genannt, die später als Warnhinweise in den Benutzerinformationen erscheinen. Das ist jedoch nur ein Teil. Eine Technische Redaktion kann und muss weitaus mehr Inhalte aus einer Risikobeurteilung übernehmen.
Normen als wertvolle Informationsquelle
Bereits die Auflistung der angewandten Normen, die die Konstruktion bei der Produktentwicklung berücksichtigt hat, können eine Quelle für die Technische Redaktion sein. Viele produktbezogene Normen enthalten auch konkrete Vorgaben zu Benutzerinformationen. Bei maschinenbezogenen Normen finden sich diese oft am Ende einer Norm (z. B. in Kapitel 6 oder 7). In anderen Produktbereichen – etwa der Elektrotechnik – können diese Informationen an anderer Stelle in der jeweiligen Norm stehen. Hier sollte die Technische Redaktion in der Konstruktion gezielt nachfragen, ob entsprechende Normen recherchiert wurden und vorhanden sind. Optimal ist eine zentrale Anlaufstelle wie z. B. ein CE-Koordinator.
Das Kapitel „Grenzen des Produktes“ liefert entscheidende Details
Darüber hinaus liefert das Kapitel „Grenzen des Produktes bzw. der Maschine“ in der Risikobeurteilung zahlreiche Informationen, die für die Benutzerinformationen wertvoll sind, zum Beispiel:
- Bestimmungsgemäße Verwendung
- Vernünftigerweise vorhersehbare Fehlanwendung
- Lebensphasen, Anwenderkreis
- Räumliche Grenzen
- Technische Grenzen
- Zeitliche Grenzen
- Standort und Einsatzbereich
Wie sich Informationen aus der Risikobeurteilung in die Benutzerinformation übertragen lassen
Die bestimmungsgemäße Verwendung sollte so beschrieben sein, dass sie inhaltlich direkt in die Benutzerinformationen übernommen werden kann – mehr also als der bloße Hinweis, dass das Produkt nur bestimmungsgemäß zu verwenden ist.
Die vorhersehbare Fehlanwendung liefert Informationen, die sich etwa im Kapitel „Bestimmungswidrige Verwendung“ der Benutzerinformationen wiederfinden. Der Punkt „Lebensphasen, Anwenderkreis“ hilft bei der Strukturierung und beim Festlegen der Qualifikationen der Nutzer. Hier soll die Risikobeurteilung die Lebensphasen nach der Produktübergabe betrachten – vom Transport bei einfachen Produkten bis hin zur Inbetriebnahme bei komplexen Maschinen oder Anlagen.
Unter den räumlichen Grenzen finden sich Hinweise zu Platzbedarf, Anschlüssen oder Bewegungsräumen – entscheidend, wenn die Aufstellung durch den Nutzer erfolgen soll. Die technischen Grenzen bieten sich als Basis für das Kapitel Technischen Daten der Benutzerinformationen an. Die zeitlichen Grenzen betreffen Lebensdauer und Wartungsintervalle und bilden eine Grundlage für das Kapitel „Wartung“. Auch Angaben zum Standort und Einsatzbereich – etwa Innenraum-Nutzung oder klimatische Bedingungen – sind für den Nutzer relevant.
Restgefahren und Warnhinweise richtig ableiten
Und schließlich die Restgefahren, aus denen die Warnhinweise entstehen. Diese sind in den Bewertungstabellen oder -abschnitten der Risikobeurteilung dokumentiert. In der Praxis zeigt sich jedoch oft, dass die dortigen Angaben wenig aussagekräftig sind. Dann bleibt der Technischen Redaktion nur die Rücksprache mit der Konstruktion – ein mühsamer, zeit- und nervenaufreibender Prozess. Um solche Reibungen zu vermeiden, sollten sich beide Seiten abstimmen, wie die Informationen in der Risikobeurteilung aussehen müssen.
Zusammenarbeit zwischen Konstruktion und Technischer Redaktion
Eine Möglichkeit ist zudem die Einführung eines standardisierten Prozesses für Warnhinweise, beispielsweise nach der SAFE-Methode. So wird sichergestellt, dass alle relevanten Informationen in der geforderten Qualität vorliegen – zum Nutzen des Herstellers und für die sichere Produktnutzung durch den Anwender.
Fazit: Mit solider Risikobeurteilung zur CE-Konformität
Wenn all diese Punkte in einer Risikobeurteilung berücksichtigt und in den Benutzerinformationen umgesetzt sind, ist ein wesentlicher Schritt hin zur CE-Konformität bereits getan.
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