Sicherheit ist für die technische Dokumentation ein wichtiges Thema. Das Verfassen von Sicherheitshinweisen gehört zum täglich auszulöffelnden Süppchen der Technischen Redakteure. Doch schauen wir mal über den Tellerrand.
Das Thema Sicherheit ist aktuell allgegenwärtig. Aber was ist Sicherheit eigentlich? Gibt es natürliche Grenzen von Sicherheit und ist Sicherheit eigentlich immer gut? Oder liegt die Würze nicht in der Unsicherheit?
Wer eine Maschine bedient, will diese so weit es geht sicher bedienen. Hier legt die Maschinenrichtlinie Standards fest, unter anderem wie Maschinen konstruiert werden sollen und was die zugehörige Dokumentation leisten muss.
Nochmal: Wer eine Maschine bedient, will diese so weit es geht sicher bedienen. Das Wort sicher kann hier auch anders verstanden werden. Jemand der viel Erfahrung mit einer Maschine hat wird diese sicherer handhaben als jemand, der die Maschine zum ersten Mal benutzt.
Es scheint als müsse man bei der Benutzung des Wortes Sicherheit auf den Kontext achten.
Wir reden hier über Sicherheit in der Konstruktion und über Sicherheit in der Handhabung der Maschine. Dies sind keine Gegensätze: Eine sichere aber auch eine unsichere Maschine lässt sich mit wachsender Erfahrung sicherer bedienen.
Kann Sicherheit auch das Gegenteil von Sicherheit sein?
Kann Sicherheit auch das Gegenteil von Sicherheit sein?
Ein tecteam-Kunde aus dem Bereich Sicherheitstechnik beginnt Vorträge und Briefings oft mit dem Satz: „Die sicherste Tür ist ein Loch in der Wand.“ Hier bedeutet Sicherheit, dass ein Gebäude im Gefahrenfall, zum Beispiel bei einem Brand, schnell verlassen werden kann. Aber ist das sicher? Ein bezüglich Sicherheit beratender Polizist wird den Fokus auf einen anderen Aspekt legen.
Das gegenteilige Extrem, ist die Aussage: „Die sicherste Tür ist zugemauert.“ Die zu sichernden Objekte im Haus sind für Diebe nicht mehr erreichbar.
Beispielsweise ist eine Tür im Fluchtweg eines Juweliergeschäftes immer ein Kompromiss zwischen Sicherheit und Sicherheit. Hier ist Sicherheit tatsächlich das Gegenteil von Sicherheit.
Damit lässt sich die Frage, ob es natürliche Grenzen von Sicherheit gibt, klar mit „Ja“ beantworten: Wenn ein mehr an Sicherheit auf der einen Seite gleichzeitig die Sicherheit auf einer anderen Seite vermindert, stößt man unweigerlich an Grenzen.
Wir haben bereits vier Typen von Sicherheit gefunden:
- Sicherheit in der Konstruktion einer Maschine
- Sicherheit in der Handhabung einer Maschine
- Sicherheit in Ausnahmesituationen, der Gefahrenfall
- Sicherheit vor anderen Menschen und auch Tieren.
Es gibt sicherlich noch mehr Typen.
Sprache prägt die Weltsicht
Wechseln wir mal die Sprache, um der Problematik näher zu kommen. Übersetzt man Sicherheit ins Englische erhält man unter anderem Secureness, Safeness und Sureness.
Der Begriff Secureness passt zu den Aspekten Fluchtweg und Konstruktion. Safeness passt zum Aspekt Sicherheit vor anderen Menschen und Tieren. Und Sureness passt zu dem Aspekt Sicherheit in der Handhabung.
Nach Wilhelm von Humboldt prägt die Sprache die Weltansicht. Durch die Entwicklung der Sprache wächst die Klarheit der Ideen. Ob englischsprachige Menschen ein klareres Begreifen zur Sicherheit haben, kann ich hier nicht beurteilen. Kennt man aber die englischen Übersetzungen und kann sie unterscheiden und zuordnen, so hilft das sicher weiter.
Secureness ist etwas anderes als Safeness oder um es im Deutschen auszudrücken, Sicherheit ist etwas anderes als Sicherheit.
Sicherheit ist derzeit ein brisantes gesellschaftspolitisches Thema, mit der Intention der Gefahrenabwehr (Secureness). Meiner Meinung nach gibt es auch hier eine kontroverse Sicherheit.
Eine Mastgans lebt in behüteter Sicherheit. Die sichere Erfahrung sagt der Gans, dass der nette Mensch, der sicher jeden Tag vorbeikommt, sie füttert und pflegt, ausschließlich um ihre Sicherheit bemüht ist. Die Gans weiß leider nichts von der anderen Seite der Sicherheit, dass ihr schönes Leben sicher nicht mehr als neunzig Tage dauert.
Ein mehr an Sicherheit bei der Gefahrenabwehr, zum Beispiel durch Kontrollen und Reglementierungen, bedeutet auf der anderen Seite, eine verminderte Sicherheit auch in Zukunft frei leben zu können.
Die Würze des Lebens liegt doch in der Unsicherheit, die man sich bei aller Sicherheit, jederzeit leisten können sollte, oder?
„Sicher ist, dass nichts sicher ist. Selbst das nicht.“ (Joachim Ringelnatz)
„Die Sprache ist das bildende Organ des Gedanken.“
(Wilhelm von Humboldt in „Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts“ (1836)).
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