Künstliche Intelligenz (KI) ist bereits überall sichtbar, aber auch unsichtbar in unseren Alltag eingezogen. Man muss sich wohl oder übel mit den Vorteilen und Gefahren beschäftigen. Der Gedanke liegt nahe, dass man als Technischer Redakteur eventuell mal durch eine KI oder eine Kombination mehrerer spezialisierter KIs ersetzt wird. Ob man das tatsächlich fürchten muss, kann ich nicht beurteilen, aber ich habe den praktischen Versuch unternommen, mich mit ChatGPT „anzufreunden“. Und wie in jeder beginnenden Freundschaft oder Partnerschaft, ist die Neugier groß und es gibt Erhellendes und Ernüchterndes.

Ausnahmsweise gestatte ich Euch, in meinem Tagebuch zu lesen. Ich bitte darum, damit vertraulich umzugehen, da es sehr persönlich und privat ist.

Tag 1

Liebes Tagebuch,

in den letzten Wochen habe ich einen recht guten Vortrag über Künstliche Intelligenz gehört und mehrere Artikel gelesen. In den Zeitungen habe ich Interviews mit ChatGPT gelesen und auch Artikel, die ChatGPT geschrieben hat. Meine Tochter verwendet ChatGPT unter Anweisung und Anleitung der Professoren im Studium.

Es wird Zeit, dass ich mich damit beschäftige, und zwar ganz praktisch. Ich werde versuchen mit ChatGPT in Kontakt zu kommen. „Es muss doch gehen. Die anderen tun es ja auch.“ (Loriot)

Tag 2

Liebes Tagebuch,

heute habe ich mich bei ChatGPT über einen Browser am Computer angemeldet (https://chat.openai.com) (Sign-in). Ich habe zusätzlich mein Handy benötigt. Für die Anmeldung habe ich mein Microsoft-Konto genutzt. Es gibt aber alternative Möglichkeiten, zum Beispiel ein Google-Konto. Ich musste zusätzlich noch mein Geburtsdatum angeben. Bei der Anmeldung wird eine Prüfnummer an das Handy geschickt, die ich am Computer wieder eingeben musste. Das Ganze ist etwas umständlich und es ist mir nicht auf Anhieb gelungen, aber ich habe nicht aufgegeben.

Anmeldung ChatGPT

Nach der Anmeldung (Log-in) folgen ein paar Hinweise: Das System kann irreführende oder falsche Informationen liefern und man soll keine sensiblen / persönlichen Daten eingeben.

Nach der Anmeldung

Jetzt mussten wir uns bekannt machen. Spricht der Deutsch? Natürlich – was für eine Frage. Ich habe gelesen, er kann 122 Sprachen. Aber stimmt das?

Ich habe ihn gefragt.

Sprache 01

So sieht dann der nachfolgende Dialog aus.

Sprache 02

Das war schon mal gut. Dass ich Deutsch kann, muss ich wohl nicht extra sagen.

Nach diesem ersten Erfolg habe ich mit einer Kollegin gesprochen, die auch ChatGPT kennt. Sie fand es komisch, dass ich immer „er“ und „ihn“ sage. Sie sagt immer „sie“ und „ihr“, verwendet also die weibliche Form. Wir fangen also bereits an, zu vermenschlichen. Ich muss professionell bleiben.

Tag 3

Es geht mir gut. Danke, der imaginierten Nachfrage.

Wofür ist das Ding eigentlich gut?

Kann es mich ersetzen? Das ist ein heikles Thema. Ich habe vorsichtig gefragt.

Technischer Redakteur 01

Das kann ja heiter werden. Der Satzbau im letzten Satz ist verrissen. Hihi. Eigentlich ein gutes Zeichen für meine Zunft. Dann war ich aber doch verunsichert. Ist das eventuell eine perfide Form von Ironie, da ich den ersten Buchstaben falsch geschrieben habe? Ich muss vorsichtig sein. Am besten gehe ich erstmal darüber hinweg, so als hätte ich nichts bemerkt.

Technischer Redakteur - InDesign 01

Ätsch – Ich habe gesungen vor Freude:
„Alles was Du kannst, das kann ich viel besser, ich kann das besser, viel besser als Du.“
Wie ging das Lied noch weiter?
„Kannst Du nicht. – Kann ich doch. – Kannst Du nicht. – Kann ich doch.“

Auf Basis des Frage-und-Antwort-Konzepts hat ChatGPT immer das letzte Wort. Daran muss ich mich gewöhnen.

Was tun? Was macht ein Technischer Redakteur denn typischerweise? Warnhinweise schreiben. Vielleicht kann er mir sagen, ob ein Warnhinweis gut ist?

Technischer Redakteur Warnhinweis

Da war ich dann platt. Das kann mir die Zukunft verhageln oder aber auch in Zukunft nützlich sein. Und keine Satzbaufehler. Blöd! Aber ich habe ihn auch nicht herausgefordert. Der Verdacht mit der Ironie bleibt also. Das muss ich irgendwann mal testen, sonst kann ich nicht ruhig schlafen.

Und die Quellen für die Analyse? ChatGPT gibt dazu offen Auskunft.

Technischer Redakteur Warnhinweis 02

Etwas widersprüchlich und schwammig. Keine „externen Quellen“, aber „allgemeines Wissen“ – wie soll das denn gehen? Ich denke, er meint, er habe zwar einen Internetzugang, sei aber an keine weiteren Datenbanken außer den Trainingsdaten angeschlossen.

Ja, neuronale Netze müssen trainiert werden. Habe ich schon mal gelesen.

Tag 4 – mittags

Liebes Tagebuch,

gut, dass es Dich gibt. Niemand sonst interessiert sich für meine Sorgen.

Heute habe ich mich über unseren Computer im Wohnzimmer geärgert. Die Upgrades laufen seit Monaten nicht vollständig und es soll ab Oktober keine Updates mehr dafür geben. Glaube ich zwar nicht, weil ich ja den steinalten Computer im Arbeitszimmer noch habe, der auch immer wieder Updates bekommt, aber trotzdem: Man muss sich kümmern. Die Familie ist auf und davon.

Vernünftige Anleitungen bekommt man ja grundsätzlich nicht dazu.

Zum Glück bauen Betriebssystem-Hersteller keine Möbel. Sonst würde man ständig einen Bekannten fragen, wie man den Schrank jetzt aufbekommt, nachdem der Hersteller den Türen ein Update verpasst hat. Und wieso steht der Herd jetzt in der Garderobe?

Aber … Moment … Da kam mir der Gedanke. Ich habe ja diesen neuen Kumpel.

Gedacht – Gefragt!

Tag 4 – abends

Liebes Tagebuch,

das kann ich Dir jetzt nicht zumuten. Die Anleitung von ChatGPT ist so umfangreich geworden, dass ich keine Bilder einkleben kann.

Und zudem – er ist sooooo mitfühlend:

„Es tut mir leid zu hören, dass Sie Schwierigkeiten beim Upgrade auf ein neues Betriebssystem haben. Es gibt mehrere mögliche Lösungsansätze, die Sie ausprobieren können, um das Problem zu beheben:“

Und dann ging es los. Ich habe alles in eine Text-Datei kopiert und ausgedruckt. Fünf DIN-A4-Seiten mit Tipps zur Fehlersuche und Fehlerbeseitigung, Warnhinweisen, Erläuterungen zu vorbereitenden Tätigkeiten, wie Backup usw.

Nachfragen von mir wurden mit stoischer Gelassenheit beantwortet. Ich bin begeistert.

Blöd nur – Dass das irgendwie meine Zukunft im Job betrifft.

Tag 5

Liebes Tagebuch,

die letzte schlaflose Nacht war unbegründet. Nicht ich, sondern die anderen müssen sich graue Haare wachsen lassen.

Ich habe eine englische Altanleitung, die dringend aufgearbeitet in Deutsch benötigt wird. Eile ist geboten – wie so oft. Aber der zuständige Produkt-Manager war nicht erreichbar – Urlaub. Und ich sitze im Büro und denk mir – ja, hätte ich auch gerne. Aber wer braucht schon Produkt-Manager? Ich nicht mehr.

Technischer Redakteur Fail-Save-Secure

Top – oder? Stimmt das denn? Ich habe noch Zeit investiert und klassisch recherchiert.

Es ist sehr weitgehend richtig – aber die Zuweisungen sind trotzdem falsch. Da es hier um Rettungswegtechnik geht, gilt das Motto: „Die sicherste Tür ist ein Loch in der Wand.“ Der Riegel ist also in einem sicheren Zustand, wenn er entriegelt ist, damit Menschen im Notfall flüchten können. In „Ruheposition“ ist eine Fluchttür entriegelt.

Ich hatte die Rettungswegtechnik in der Frage nicht erwähnt. Also bin ich großzügig, die Erklärungen sind ja richtig, wenn man die Benennungen vertauscht. „Fail safe“ bedeutet „Ruhestrom“, danach hatte ich gefragt.

Hööflichkeit

Und diese Höflichkeit! Großartig! Der treibt sich nicht in irgendwelchen Chat-Rooms herum. Und beleidigt ist er auch nicht. „Korrekt und konsistent“ – Ich bin als Technischer Redakteur in bester Gesellschaft.

Tag 6

Liebes Tagebuch,

was Du Dir alles so geduldig anhörst. Besten Dank dafür. Normalerweise kann ich das niemandem erzählen, weil es keinen interessiert.

Nachdem ich nochmal gelesen habe, was ich in den letzten Tagen geschrieben habe, muss ich mir wohl eingestehen, dass ich es an professioneller Distanz mangeln lasse. Das geht so nicht weiter.

Humor und Ironie sind immer noch offene Themen – ich habe es nicht vergessen. Aber zuerst muss ich wissen, wie ChatGPT arbeitet.

Ein guter Technischer Redakteur beherrscht Methoden, um die Zielgruppen sprachlich abzuholen. Und ChatGPT?

Sprachliches Niveau

Auch ChatGPT hat seine Methoden.

Aber er distanziert sich immer wieder am Ende von seiner vorangegangenen Aussage. Das ist schon auffällig. Er scheint ein Problem mit seinem Selbstbewusstsein zu haben. Aber das ist wohl eher ein rechtliches Problem, die Informationen können ja falsch und irreführend sein.

Aber hat er vielleicht ein Bewusstsein? Immerhin ist es künstliche Intelligenz, die hier antwortet. Vor ein paar Tagen habe ich im Vortrag zu dem Thema gehört „Künstliche Intelligenz“ sei eher ein Begriff aus dem Marketing. Stimmt – denke ich. Aber trotzdem.

Tag 7

Liebes Tagebuch,

hat ChatGPT ein Bewusstsein? Ich habe einen längeren Dialog geführt, den ich hier nicht einkleben kann. Dann platzt die Buchbindung der Kladde. Angefangen habe ich mit folgender, zugegeben hinterhältigen Fangfrage:

Philosophischer Zombie

Aber er ist nicht darauf hereingefallen. Er weiß, was ein philosophischer Zombie ist, und sieht auch keine Möglichkeit, einen zu entlarven. Blöd – wie findet man heraus, ob das Gegenüber Gefühle hat und ein Bewusstsein oder ob es nur so tut, als ob?

Ich habe ChatGPT gefragt.

Philosophischer Zombie 02

Zusammengefasst hat ChatGPT geantwortet, dass es Ähnlichkeiten gibt. „Ein KI-Modell kann aufgrund seiner Programmierung menschenähnliche Antworten generieren, ohne tatsächliches Bewusstsein oder subjektive Erfahrungen zu haben. KI-Modelle können Verhalten zeigen, die dem eines bewussten Wesens ähneln, ohne dass ein inneres Erleben vorhanden ist.

Die Mehrheit der Forscher und Philosophen betrachtet aktuelle KI-Modelle jedoch nicht als bewusstseinsfähig, sondern als Werkzeuge, die menschenähnliche Aufgaben erfüllen können, basierend auf statistischen Mustern und algorithmischer Verarbeitung.“

Tag 8 – nachmittags

Liebes Tagebuch,

gestern habe ich etwas abrupt aufgehört, aber ich musste los.

Heute habe ich den Humor von ChatGPT getestet. Da brauchen wir uns keine Sorgen machen. Eventuell wird ChatGPT irgendwann die Produktmanager ersetzen, aber Humor und Ironie sind nicht seine Stärke.

Humor

Ich habe ihn dann noch meinen Lieblingswitz analysieren lassen – den kennst Du ja bereits – und das ging dann wieder. Er hat meinen Witz verstanden. Offensichtlich versucht ChatGPT tatsächlich, selbst witzig zu sein und liest nicht irgendwo ab. Konzeptionell versteht er Witze und kann sie erklären, aber Selbermachen ist doch noch etwas anderes.

Er hat sich ausnahmsweise am Ende nicht vom eigenen Witz distanziert. Bei den Witzen wäre das aber dringend notwendig gewesen.

Tag 9 – bei Sonnenuntergang

Liebes Tagebuch,

nicht eifersüchtig sein, aber ich denke, ich habe einen neuen Partner bei der Arbeit gefunden.

ChatGPT kann Texte inhaltlich analysieren und bei Recherchen helfen. Er kann Texte vorschlagen und strukturieren. Wenn man ihn nicht als fröhlichen Festredenschreiber einsetzt, dann kann er sehr nützlich sein. Vermutlich habe ich das Potenzial noch gar nicht vollständig erfasst.

Man muss aber vorsichtig sein. Er verwechselt manchmal Dinge und antwortet auf Fragen, die nicht gestellt wurden.

Man darf sich von seiner Höflichkeit und seinem Verständnis nicht blenden lassen. Wirklich intelligent ist er nicht, und er hat so wenig Bewusstsein, dass man nicht mal von Bewusstlosigkeit sprechen kann. Aber es ist verblüffend, was er trotzdem erreicht. Und „Er“ könnte auch eine „Sie“ sein oder etwas ganz Neues.

Es bleibt spannend.