Wer ein Redaktionssystem einführt, steht vor der Frage, ob die Bestandsdokumentation in das neue System importiert werden soll, oder ob alles neu geschrieben werden muss. Import klingt verlockend, weil er scheinbar weniger Arbeit macht. Welche Nacharbeit dann aber notwendig ist und welche Vorarbeit sich lohnt, zeigt folgender Vergleich der Gedanken und Erwartungen von Kunde und Berater.

Gedanken des Kunden

Wir haben bei der Systemeinführung extra darauf geachtet, dass das neue System eine Importfunktion für Word-Dokumente hat. Denn in der Einführungsphase haben wir eine doppelte Belastung durch die Erstbefüllung des Systems und das Tagesgeschäft. Importieren geht deutlich schneller und einfacher als das Neuerstellen in XML. Wir drücken kurz den Importknopf und alles ist im System.

Gedanken des Beraters

Nun, ein CCMS verwaltet Module, keine Dateien oder Kapitel. Haben Sie denn Module, die Sie importieren können? Wenn nein, dann überlassen Sie beim Import das Modularisieren Ihrer Bestandsdokumentation einem simplen Automatismus, der jeden Abschnitt mit einer Überschrift ohne weitere Analyse zu einem Modul kürt und keine weitere Aufteilung vornimmt. Dabei wäre gerade diese weitere Aufteilung wichtig für den nächsten Punkt.

Modularisierung

Ein CCMS verfolgt das Prinzip der Wiederverwendung. Die Importroutine erkennt aber nicht, ob ein Modul wiederverwendet werden kann und daher nicht erneut importiert werden muss. Haben Sie denn eine Matrix, aus der hervorgeht, in welchen Strukturen bzw. Dokumenten Sie welche Module wiederverwenden? Wenn nein, werden Sie beim Importieren vermutlich Duplikate erzeugen. Duplikate und Kopien sind aber Gift in einem System, in dem es jeden Inhalt nur ein einziges Mal geben darf. Dieses Gift macht das System inkonsistent, aufwendig und teuer. Da ist Vor- oder Nacharbeit fällig, nämlich die Modularisierung.

Standardisierung

Ein CCMS bietet ausgeklügelte Kontrolle über Strukturen: Baumstrukturen aus Modulen und Fragmenten für die Grobstruktur, XML für die Feinstruktur. Die Importroutine will – buchstäblich mit aller Gewalt – diese Strukturen beim Import erkennen. Sie fragt zum Beispiel, mit welchen Absatzformaten die Warnhinweise nach ANSI Z535.6 formatiert sind: Signalwort, Art und Quelle der Gefahr, Folgen bei Nichtbeachtung, Maßnahmen zur Abwehr. Wer in Word hierfür keine exklusiven Formate angelegt und konsistent verwendet hat oder wer diese Absatzformate auch für anderen Text verwendet hat, der gar nichts mit Warnhinweisen zu tun hat, wird vom Ergebnis des Imports überrascht sein – und zwar ganz und gar nicht positiv. Da ist Vor- oder Nacharbeit fällig, nämlich die Standardisierung.

Klassifizierung

Beim Importieren überlässt man das Benennen und Ablegen der Texte und Abbildungen einem simplen Automatismus, der das Wiederfinden einer bestimmten Abbildung oder eines bestimmten Textes nicht unbedingt erleichtert. Alle Module landen im selbem Ordner, ebenso alle Abbildungen. Metadaten werden nicht automatisch angelegt und zugewiesen. Da ist Vor- oder Nacharbeit fällig, nämlich die Klassifizierung.

Import erzeugt Nacharbeit

Ein Import ergibt jedoch immer Sinn, wenn man ein Dokument hat, dass prägnant, konsistent und normkonform geschrieben und strukturiert ist. Man kann sich auch eine Art Master-Dokument extra für den Import zusammenstellen, das möglichst viele Produkt-Optionen und -Varianten beschreibt, um möglichst viele Inhalte zu importieren. Dieses Dokument entspricht dann nicht mehr einem realen Produkt. Wichtig ist nur, dass es im Hinblick auf Rechtschreibung, Terminologie und Stil perfekt geschrieben ist, alle Kapitel einheitlich gegliedert und formatiert sind und alle Regeln des Redaktionsleitfadens eingehalten werden. Die Absatzformate sollten den XML-Elementen entsprechen, die Zeichenformate den XML-Attributen. Trotzdem ist auch hier Nacharbeit fällig, nämlich für Querverweise, Variablen, Fragmente, Nachbesserungen an Tabellen, das Filtern und Zusammenfügen der Module zu Dokumenten, das Ablegen in Ordnern, das Layout, oft auch die Abbildungen und vieles andere mehr.

CCMS als Chance auf Neuanfang

Ein CCMS produziert nicht automatisch gut verständliche Anleitungen. Die Importroutine importiert anstandslos Bandwurmsätze, Schachtelsätze und Tippfehler. Wenn die Doku schon etwas in die Jahre gekommen ist, der Redaktionsleitfaden aktueller als die Dokumente ist oder die Usability der Bestandsdokumente zu wünschen übrig lässt, dann ist die Einführung eines CCMS Ihre Chance auf einen Neuanfang! Endlich alte Zöpfe abschneiden! Back to the roots! Endlich Funktionsdesign konsequent anwenden, endlich Terminologiearbeit machen, endlich Stil, Anrede und Lesbarkeit berichtigen! Und endlich Strukturidentität über alle Dokumente einhalten!

Endlich Qualität. Die kann man nicht importieren. Die macht Arbeit.
Aber es lohnt sich.